
aus dem Kapitel M. aus Münchhausen:
»(…) Es gelang ihm, dass ich mich schnell daran gewöhnte, ständig mit jemandem zu schreiben, und bald freute ich mich sogar darüber. Endlich geschah etwas Neues, Spannenderes in meinem Leben. Endlich mal ein Licht am Ende des Tunnels – na, hoffentlich kein mickriges Teelicht ...
Unsere Chats entwickelten sich immer mehr zu einem Bestandteil meines Alltags. Er betonte oft, dass er das Leben genießen wolle. Dass er nichts erwarte, es für ihn nicht wichtig sei, was ein Mensch besäße, sondern dass er das Herz am rechten Fleck hätte und ehrlich sei. Mit so einer Einstellung zum Leben und zu dem Wert eines Menschen sammelte er bei mir Pluspunkte. Er erschien alles andere als oberflächlich und wurde für mich immer interessanter.
Zwei Wochen später hatten wir endlich einen Termin gefunden, an dem wir beide Zeit hatten. Am kommenden Samstagabend wollten wir uns in München treffen. Ich bat ihn auszusuchen, wo. Da der Frühling gerade erst begann, kamen weder Biergarten noch Isar infrage. Mittlerweile war ich sehr neugierig auf ihn und freute mich darauf, ihn zu sehen und mehr kennenzulernen. Am Samstagmorgen schlief ich aus und schaltete erst gegen 09.30 Uhr den Flugmodus meines Handys aus. Ich hatte bereits die erste Nachricht von ihm (zusätzlich zu denen, die ich abends nicht mehr gesehen hatte ... »Was is´n da los? Bestimmt ´nen Date.«).
06:39 »Guten Morgen. Alles fein bei dir?«
09:44 »Yep. Und selber?«
10:01 »Alles fein.«
11:25 »Oh nein, jetzt sitze ich gerade im Auto Richtung Würzburg.«
What? Willst du mich verarschen? Was ist das denn jetzt für eine Nummer?
Da mir sofort klar war, worauf das gerade hinauslief, stellte ich mich zunächst blöd und ging nicht auf dieses bescheuerte Ohh-hab-ich-ja-total-vergessen-Spiel ein.
»Wollten wir uns heute Abend nicht treffen?«, hakte er nach.
Ja, du Arsch, und ich glaub dir kein Stück, dass du das vergessen hast ..., dröhnte es in meinem Kopf und Bauch.
»Ähmm ... ja. Müsstest mir mal sagen, wann und wo.«
»Können wir das bitte auf morgen verschieben? Wir machen eine spontane Geburtstagsüberraschung für einen Freund in Würzburg. Wie blöd von mir.«
»Nee. Da kann ich nicht. Ich hab das jetzt so organisiert, dass meine Tochter heute bei ihrem Vater ist.«
Daraufhin kehrte Stille ein. Ich war sauer, mich ärgerte diese Wendung meines Samstags. Nicht weil ich kein Verständnis dafür hatte, wenn Pläne sich ändern. Auch nicht spontan. Aber ich war mir instinktiv und absolut sicher, dass dem mitnichten so war. Auch wenn ich viele Menschen kenne, die ständig alles Mögliche und Unmögliche vergessen. Für mich war völlig klar, dass das hier nicht der Fall war. Es passte nicht zu ihm.
Was er schrieb, die Art und Weise, wie er das schrieb, verbunden mit den Zeitabständen. Nein. Mein erster Impuls war, dass M. schon morgens um 06.30 Uhr wusste, dass er an diesem Abend lieber mit seinen Jungs losziehen wollte, und nur zu feige war, mir das zu sagen. Er suchte nach einer Möglichkeit, dieses Date zu canceln, ohne »schuld« zu sein. Es auf diese Art zu tun, erschien ihm wohl sehr schlau. Ich fand seinen Versuch eher schlicht und sehr durchschaubar. Das empfand ich als respektlos. Quasi eine Beleidigung an meine Intelligenz.
Abgesehen davon habe ich ein grundsätzliches Problem mit Lügen. Kleine Alltagslügen klammere ich hier aus, aber auch die finde ich unnötig. Ehrlichkeit lässt mich Beweggründe nachvollziehen und die Motivation des anderen verstehen. Das schmälert das Geschehene in seiner vermeintlichen Schwere. Es zeigt Respekt und Mut.
Wir lügen aus Angst vor Konsequenzen. Wir bilden uns ein, zu wissen, was mit uns passiert, wenn wir ehrlich sind. Wir lügen aus Bequemlichkeit, um uns nicht mit etwas auseinanderzusetzen. Womöglich bringt es unangenehme Gefühle mit sich. Denen gehen wir lieber aus dem Weg. Das betrifft die kleinen, alltäglichen Dinge genauso wie die großen Lebenslügen. Ich schätze Ehrlichkeit sehr. Es macht jede Auseinandersetzung, jeden Konflikt und jede Uneinigkeit besser. Leichter. Egal wie dramatisch sie ist.
Aber das hier war nicht mal ansatzweise dramatisch. Nur schade. Weil wir beide und ich im Besonderen nicht so viel und oft Zeit für ein Date hatten. (…)«
aus dem Kapitel #kurzes #und #kurioses:
» (…) Kurze Zeit später hatte ich ein Match mit L. Er hatte mehrere Bilder in seinem Profil, Schnappschüsse in den unterschiedlichsten Situationen. Ich fand ihn auf allen Bildern sympathisch, natürlich und absolut attraktiv.
Groß, dunkle, kurze Haare, sportliche Figur, grüne Augen. Da sind sie wieder – die hellen Augen. Er kam ursprünglich aus Kroatien und lebte seit 30 Jahren in München. Wir chatteten eine Weile, tauschten Basics aus und wollten kurz darauf Mobilnummern austauschen. Also gab ich ihm meine.
»Hey L., bitteschön. Schickst du mir dann auch deine?«
»Danke Emma. Ähmm ... nee, sorry. Aber ich geb nicht so schnell meine Nummer raus. Ich hab so schlechte Erfahrungen damit gemacht. Ich ruf dich an, aber dann mit unterdrückter Nummer.«
Bitte was?? Spinnt der? Mir ist fast alles im Hals stecken geblieben. Ich wusste nicht, ob ich darüber lachen oder mich höllisch aufregen sollte. Geht’s noch? Erst meine Nummer haben wollen, um mir anschließend die eigene zu verweigern? Der hat wohl Gehirnverstopfung. Förderte zusätzlich mein Misstrauen.
»Das ist ja wohl ein Scherz. Was soll denn so ein Mist? Du kannst doch nicht nach meiner fragen und deine im Nachhinein nicht rausrücken. Also wenn du das nicht bist auf deinen Bildern oder eigentlich liiert, sag es einfach. Kommt sowieso früher oder später raus.«
Ich war genervt und hakte die Sache innerlich ab. Am nächsten Tag bewog ihn meine Nachricht, mir doch seine Mobilnummer zu geben. Er versicherte mir, dass er weder liiert sei, noch Fake-Bilder in seinem Account hätte.
Wir schrieben weiter und telefonierten auch. Seine Stimme klang kratzig, seine Sätze abgehackt, seine Sprache schlicht. Immer mal wieder meldete sich mein Bauchgefühl. Irgendetwas stimmt bei ihm nicht. Aber ich konnte nicht einordnen, was genau mich irritierte. (…)«
aus dem Kapitel der Musiker:
»(…)Wir stießen mit unserem Wein an und ganz natürlich und leicht ergab sich ein Gespräch. Der Cocktail aus digitaler Vertrautheit und passender Chemie machte sich bemerkbar. Es lief.
Ohne mich zu berühren, saß er dicht neben mir, ich spürte deutlich die Wärme seines Körpers – sie zog mich an. Ich mochte ihn direkt in meiner Nähe haben, ich mochte es, wenn sich unsere Knie zufällig berührten.
Ich weiß nicht mehr, über was wir alles geredet haben, zu schnell schweiften meine Gedanken ab. Mein Wunsch, ihn zu küssen, wurde mit jeder Minute, die verstrich größer und mächtiger und beanspruchte meine ungeteilte Aufmerksamkeit. Damn! Aber was willst du?
Männergesichter zu lesen, war nie meine Stärke. Für mich ist es sehr schwer, sie schauen mich an und die Chance, dass sie denken »Wow, wie gerne würd ich jetzt über dich herfallen«, na ja, oder zumindest küssen, ist genauso groß wie die Wahrscheinlichkeit, dass sie darüber nachdenken, wann sie die Winterreifen wechseln wollen. (…)
Immer häufiger berührten wir uns beim Erzählen. Ohne darüber nachzudenken, aber nicht zufällig. Eher instinktiv. Kurze Zeit später landete sein Zeigefinger wieder auf meinem Arm und verweilte dort diesmal einen Hauch zu lang. War das der Auslöser?
Ich weiß nicht, wie es dahin kam, alles ging schwindelerregend schnell, aber plötzlich war sein Gesicht ganz nah vor meinem. Ich sah Augen, die sich schlossen, spürte die weichen Haare seines Vollbarts, seine Lippen auf meinen. Wir küssten uns und ab diesem Moment verloren wir uns ineinander. Und vielleicht ... vielleicht war das wirklich der Auslöser für die Kettenreaktion des weiteren Abends, der Nacht und des Morgens. Ich weiß es nicht. Aber es hätte krasser kaum sein können.Es war einer dieser Momente, in denen die Zeit stillstehen sollte. In denen sie sich zumindest ausdehnen sollte. Ihrer Natur trotzen. Sie sollte zukünftige Tiefpunkte plündern, ihre Minuten und Stunden stehlen. In denen der Schmerz groß ist und man sich wünschte, im Zeitraffer durch diese Tage zu gehen. Aber sie tat es nicht.
Sie ignorierte mich. Sie tat, was sie immer in solchen Momenten macht – sie beeilte sich, die Stunden schneller vergehen zu lassen als sonst. Und viel rasanter, als mir lieb war. (…)«